Suchtgefahr Frau Seniorin Schlaftabletten Schmerztabletten Beruhigungstabletten
Suchtgefahr Frau Seniorin Schlaftabletten Schmerztabletten Beruhigungstabletten Pressmaster/shutterstock.com

Suchtgefahr bei älteren Damen

Über schwere Lebensphasen sollen Beruhigungs- und Schlafmittel hinweghelfen. Doch mehrere Tausend kommen keineswegs mehr davon los. Welche Pillen machen möglicherweise abhängig und wer ist ganz besonders betroffen?

Bis zu 1,9 Millionen Personen in Deutschland sind schätzungsweise laut dem Jahrbuch Sucht 2017 nach Medikamenten süchtig, insbesondere älteren Damen. Der in der Universität Bremen tätige Gesundheitswissenschaftler Gerd Glaeske sagte, dass es stets erneut verkannt wird, dass es die zweitgrößte Abhängigkeit in der Bundesrepublik ist – hinter Tabak, jedoch noch vor dem Alkohol. Die DHS (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen) hat dort ihr neues Jahrbuch vorgezeigt. Hierzu Fragen sowie Antworten:

Welche Personen sind besonders betroffen?

Glaeske sagte, dass Medikamentenabhängigkeit weiblich ist. Insbesondere sieht er Über-65-Jährige betroffen, welche in den Studien zu diesem Thema bis jetzt jedoch überhaupt keineswegs einbezogen seien. Frauen erhalten nachweislich mehr Arzneimittel, welche auf die Psyche einwirken, wie Antidepressiva und Tranquilizer, wie es im Jahrbuch heißt. Hier haben Rollenstereotype eventuell auf die Verordnungen einen Einfluss…

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Welche Pillen machen möglicherweise abhängig?

Es sind allen voran Beruhigungs- und Schlafmittel, vor allem aus der Gruppe dieser Benzodiazepine und Z-Drugs, deren Wirkstoffe beginnen mit Z. Derartige Mittel werden beispielsweise bei Panikattacken oder Schlafstörungen verordnet. Diese lassen das Leben einfacher erscheinen – können jedoch innerhalb einiger Wochen zu Abhängigkeit führen.

Anders im Gegensatz zu einigen illegalen Drogen müssten Verbraucher die Dosis keineswegs erhöhen, damit sie einen Effekt spüren, so Glaeske. Sie nehmen vielmehr ein oder eben zwei Tabletten, manchmal im gutem Glauben über Jahrzehnte. Hier fehlt ein Problembewusstsein. Spezialisten sprechen von einer nach innen gerichteten, stillen Sucht.

Wo liegt das Problem, wenn doch ein Mediziner das Mittel verschrieben hat?

Beruhigungs- und Schlafmittel können gesundheitsschädliche Folgen haben, laut Glaeske: Aggression, schlechtere Konzentration, bis zu einem Dämmerzustand, welche die Sturzgefahr steigert. Ein langfristiges Einnehmen könne ebenso die Entwicklung der Altersdemenz fördern. Dazu kommt, dass ältere Menschen häufig einen Medikamenten-Cocktail zu sich nehmen: Diese bekommen Präparate von einigen unterschiedlichen Medizinern, Wechselwirkungen keineswegs ausgeschlossen. Und keinesfalls immer stecken hinter der Sucht Verschreibungen : Zahlreiche vermeintlich harmlose, frei verkäufliche Mittel wie Nasensprays und Stärkungssäfte haben Suchtpotenzial, wie es im Jahrbuch heißt. Selbst Schmerzmittel werden laut diesem Buch bis zu 70 Prozent nicht verschrieben. Packungen, welche millionenfach über die Ladentheke gehen, beinhalten beispielsweise Kombi-Präparate mithilfe von psychisch anregendem Koffein, welches laut den Angaben Entzugskopfschmerzen und Missbrauch begünstigen kann.

Fällt keinem auf, wenn ein Betroffener über viele Jahre problematische Mittel erhält?

Für die Fachwelt ist dieses Problem grundsätzlich nicht neu, jedoch hapert es am Umsetzen. Wahrscheinlich ebenso, da die vorhandenen Zahlen keineswegs alles aussagen. Gerd Glaeske meint, er beobachte seit etwa fünf Jahren, dass die abhängig machenden Arzneimittel zu großen Anteilen und zunehmend auf Privatrezept entsprechend verordnet werden. Nirgendwo wird das Rezept archiviert. Der Betroffene zahlt selbst. In den Analysen von den gesetzlichen Krankenkassen falle ein Großteil dieser problematischen Verordnungen deswegen keineswegs auf. Hier spricht Glaeske von Verschleierung. Er meinte, er sehe Mediziner in der Pflicht, die Verantwortung wahrzunehmen. Auf Anfrage war die Bundesärztekammer zunächst keineswegs erreichbar.

Ist die Sucht eindämmbar?

Ja, laut der DHS. Diese Mittel sollten bewusster eingesetzt werden, sodass es überhaupt keineswegs erst zur Abhängigkeit kommt. Betroffene müssten über mögliches Suchtpotienzial aufgeklärt werden. Selbst das Ausschleichen eines Arzneimittels anstelle des abruptem Absetzen beuge möglicherweise Entzugserscheinungen vor. Ein Projekt, das vom Bundesgesundheitsministerium gefördert wird, zeigte bereits 2014, dass möglicherweise der ambulante Schlafmittel-Entzug gelingt, wenn Arzt und Apotheker intensiver zusammenarbeiten. Allerdings würde eine breitere Umsetzung Geld kosten, da Apotheker den Mehraufwand honoriert haben möchten. Es gibt für den Wissenschaftler Glaeske noch einen weiteren Ansatzpunkt: Er verlangte für rezeptfreie Medikamente ein Werbeverbot, welche über ein Missbrauchspotenzial verfügen.

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